Legalisierung von Cannabis ist das falsche Signal
Die Sachsen-Anhaltische Krebsgesellschaft (SAKG) kritisiert die Legalisierung von Cannabis scharf und weist auf die zu erwartenden massiven negativen Folgen vor allem für Jugendliche hin. Unterstützung erhält sie hierbei von namhaften Experten, unter ihnen Prof. Thorsten Walles, Chefarzt der Abteilungen für Thoraxchirurgie am Universitätsklinikum Magdeburg und an der Lungenklinik Lostau sowie Mitglied im Vorstand der SAKG, außerdem Prof. Ste-phan Feller, Tumorbiologe und stellvertretender Direktor am Charles-Tanford-Proteinzentrum der Martin-Luther-Universität Halle.
Die wichtigste Botschaft laut Prof. Thorsten Walles: „Cannabis ist nicht harmlos.“ Zwar steigt der Konsum weltweit an, und es gibt Erfolge mit dem Einsatz dieser psychoaktiven Substanz in der Schmerztherapie und auch bei der Behandlung der Symptome von Parkinson, doch das könne nicht über die Gefahren hinwegtäuschen, denen gerade Jugendliche beim Konsum von Cannabis ausge-setzt seien.
Vor diesem Hintergrund sieht Walles die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Legali-sierung von Cannabis außerordentlich kritisch. Sie ist „eine Bankrotterklärung der deutschen Poli-tik vor der Raucherlobby“. Walles ist Lungenchirurg, sitzt im Vorstand der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft (SAKG) und ist einer von bundesweit wenigen Universitäts-Professoren für Tho-raxchirurgie. Aus seinem beruflichen Umfeld kennt er Fallzahlen, Patienten und typische Krank-heitsbilder aus eigener Anschauung. Auch deshalb ist er überzeugt, „dass hier ein falsches Signal gesetzt wurde“.
Nach einer aktuellen Studie, die im Frühjahr dieses Jahres im Ärzteblatt veröffentlicht worden ist, konsumieren in Deutschland derzeit rund 11 Prozent der 14- bis 24-Jährigen Cannabis. Der über-wiegende Teil, nämlich rund 92 Prozent, nimmt die Substanz inhalierend über die Lungen zu sich. „Damit sind die Konsumenten generell den gleichen Gesundheitsgefahren ausgesetzt, die auch vom Rauchen ausgehen“, sagt Walles.
Doch damit nicht genug. „Die Risiken des ‚normalen’ Rauchens und des Cannabisrauchens verstär-ken sich wechselseitig“, ergänzt der Mediziner. Einerseits verursacht und befördert das im Tabak enthaltene, und extrem suchtauslösende Nikotin entzündliche Prozesse im Körper. Diese Entzün-dungsherde werden durch das Inhalieren von Cannabis weiter angefacht und verstärkt. Diese Ver-änderungen führen gerade bei jungen Cannabis-Konsumenten immer wieder zu Rissen in der Lunge.
An der neuen gesetzlichen Regelung der Bundesregierung stört Walles besonders „die Verharmlosung von Cannabis und deren Folgen, vor allem für junge Menschen“. Schließlich sei die Lunge „ein Organ, das bei der Geburt noch nicht voll ausgereift ist und das sich noch bis zum 21. Lebens-jahr weiter differenziert.“ Insofern wirke das Rauchen von Cannabis gerade bei Heranwachsenden nicht nur der natürlichen Lungenreifung entgegen; es ist auch ein Turbo für den generellen Ver-schleiß des Organs.
Mit den gesundheitlichen Folgen ist Thorsten Walles als Lungenchirurg immer wieder konfrontiert: Eine von ihnen ist der Lungenkollaps beim Cannabis-Raucher, in der englischsprachigen Fachliteratur auch als „Marijuana Lung“ („Marihuana-Lunge“) bezeichnet. Er entsteht durch ein Einreißen der stark überblähten Lungenflügel, zum Beispiel beim Inhalieren eines Joints oder aus einer Bong.
Hinzu kommt: Rauchen ist noch immer für den größten Teil aller Lungenerkrankungen verantwortlich. Sicherlich auch in Zukunft, da es die Tabakindustrie inzwischen geschafft hat, durch irrefüh-rende Werbekampagnen Verdampfer und ähnliche Geräte als gesunde Alternative anzupreisen. Außerdem: Die Veränderungen an der Lunge, die durch das Rauchen entstehen, sind beim Rau-chen von Cannabis deutlich schneller zu beobachten. Wissenschaftliche Studien belegen folgende Faustregel: ein Joint hat eine ähnlich schädigende Wirkung wie fünf Zigaretten.
Unterstützung bei seiner Kritik erhält Walles von vielen Fachkollegen. Einer von ihnen ist der Tu-morbiologe Prof. Stephan Feller, stellvertretender Direktor am Charles-Tanford-Proteinzentrum in Halle. Die Legalisierung von Cannabis kritisiert auch er, gerade in Bezug auf junge Menschen scharf. Zusätzlich zu den bereits genannten Aspekten fügt er die Entstehung von Psychosen an, die gerade bei Jugendlichen öfter auftreten. Ihre Häufigkeit wird auch davon beeinflusst, dass Can-nabisblüten heutzutage nicht selten mit synthetischen Cannabinoiden „aufgepeppt“ werden. „Niemand weiß, wie einige dieser Substanzen genau wirken“, sagt Feller und ergänzt: „Das hat mit den Joints aus der Hippiezeit nichts mehr zu tun, sie hatten damals eine viel geringere Potenz.“
Zwar beginne mit dem 25. Lebensjahr eine Phase, in der der Konsum weniger gefährlich sei, aber auch dann blieben noch genügend Risiken: „Im Tabakrauch“, erklärt Feller, „sind mehr als 1000 Chemikalien nachweisbar. Das ist beim Rauchen von Cannabis nicht anders. Darüber hinaus entstehen beim Verbrennen viele karzinogene, also krebserregende Stoffe.“
Besonders am Herzen liegt dem Wissenschaftler die Prävention. „Doch durch die Legalisierung von Cannabis werden bisherige Erfolge zur Tabakprävention ad absurdum geführt“, sagt Feller. Generell vermisse er in Deutschland eine Politik, „die langfristig, nachhaltig und ernsthaft in Kinder und Jugendliche investiert“. Kostenlose Sportangebote seien nur ein Weg, bei dem diese Al-tersgruppe so genannte „legal highs“ empfinden könne, Höhepunkte also, die durch Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin Menschen auf ganz natürlichem Weg Freude empfinden lassen können.
13 Jahre hat Feller in Großbritannien gelebt und dort erfahren, dass Drogenprävention bei Jugend-lichen besser funktionieren kann als hierzulande. „Die Präventionsarbeit ist bei uns katastrophal schlecht.“ Als Beleg führt er den Etat des von der Bundesregierung eingesetzten Drogenbeauftrag-ten an: „Sein Budget lag 2019 bei rund 220.000 Euro pro Jahr. Für mehr als 80 Millionen Menschen.“
Beide Experten - Thorsten Walles und Stephan Feller - sind an unterschiedlichen Einrichtungen mit dem Thema konfrontiert. Dennoch sind sie sich einig, mit welchen Mitteln Abhilfe zu schaffen wäre: ein striktes und vor allem vollständig umgesetztes Werbeverbot und eine wesentlich höhere Tabaksteuer. „In vielen anderen Staaten funktioniert das bereits“, so Feller. Sein Kollege Walles ergänzt: „In der Politik sind die Fakten längst bekannt. Vor einer Umsetzung hat man sich bisher jedoch gedrückt.“
Prof. Stephan M. Feller, PhD (USA)
Sektionsleiter Tumorbiologie am Institut für Molekulare Medizin
Charles-Tanford-Proteinzentrum (CTP)
Kurt-Mothes-Str. 3a, 06120 Halle (Saale)
Prof. Dr. med. Thorsten Walles
Chefarzt Abteilung Thoraxchirurgie
Universitätsklinik für Herz- und Thoraxchirurgie
Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg