Nachruf Professor Glaeser
- Prof. Dr. med. habil. Albrecht Gläser (1928-2013)
Nachruf - Prof. Dr. med. habil. Albrecht Gläser (1928-2013)
Albrecht Gläser verstarb nach einem erfolgreichen Chirurgenleben am 7. Juni 2013 in seiner langjährigen Wahlheimat Leipzig.
Am 27. Juli 1928 wurde Albrecht Gläser in Chemnitz geboren. Er verlebte seine Kindheit und Jugend in Westsachsen. Trotz Unterbrechung seiner Gymnasialausbildung durch einen Lufthelfereinsatz am Kriegsende wuchs er in einem Elternhaus auf, das ihm eine tiefe humanistische Ausbildung vermittelte. Diese hat ihn tief geprägt.
Nach dem Abitur studierte er von 1947 bis 1953 in Leipzig Medizin und promovierte sich an der alma mater lipsiensis im April 1953. Nach anschließendem Pflichtjahr absolvierte er ein Jahr Innere Medizin sowie 1,5 Jahre Pathologie. Danach trat er unter dem Direktor Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Uebermuth im Januar 1953 in die Chirurgische Universitätsklinik ein. In Herbert Uebermuth, dem jüngsten und letzten Schüler des großen Payr, fand er seinen wichtigsten Lehrer und Förderer. Er erhielt unter Uebermuth eine breit gefächerte und fundierte chirurgische Ausbildung, die damals noch die Traumatologie und die Urologie einschloss. Die Chirurgische Universitätsklinik verfügte über ein eigenes histologisches Labor, in dem alle Operationspräparate einschließlich der intraoperativen Schnellschnitte befundet wurden. Albrecht Gläser stand diesem Labor von 1958 bis 1968 vor und hat es wesentlich weiterentwickelt. Das begründete sein lebenslang anhaltendes Interesse und Engagement für die Onkologie und die onkologische Chirurgie. Die Kombination aus klinischer Pathologie und onkologischer Chirurgie bildete das Fundament seiner wissenschaftlichen Arbeit. Die Beschäftigung mit der klinischen Pathologie der Geschwülste fand ihren Niederschlag unter anderem in fünf Monographien.
Nach seiner Facharztanerkennung für Chirurgie avancierte Albrecht Gläser bereits 1960 zum Oberarzt, habilitierte sich 1961 und wurde im gleichen Jahr Dozent. Von 1962 bis zum Ausscheiden aus der Leipziger Chirurgischen Universitätsklinik 1983 war er erster Oberarzt und einziger Chefstellvertreter. Seine Berufung zum Professor mit Lehrauftrag erfolgte 1966, zum ordentlichen Professor für Chirurgie 1969. Mehrere Berufungen als Chef an andere Universitätskliniken scheiterten, da der hierfür zur Bedingung gemachte Parteieintritt von Gläser abgelehnt wurde. Trotz Parteilosigkeit erfolgte 1983 endlich die Berufung zum Direktor der Chirurgischen Klinik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, einer Klinik die noch alle Subdisziplinen als Abteilungen unter einem Dach vereinigte. Hier erlebte er die Wende und seine Neuberufung nach neuem Recht. Ende 1994 schied Albrecht Gläser altersbedingt durch Emeritierung aus dem Chirurgiedienst aus. Sein letzter Arbeitstag als Ordinarius an den sich wohl alle die dabei waren noch erinnern werden, war zugleich auch der letzte Tag dieses so leidenschaftlichen Chirurgen in einem Operationssaal.
Der Onkologie blieb er aber auch nach seiner Emeritierung treu. So brachte er sein Wissen und seine Erfahrung von 1994 bis1998 in die onkologische Rehabilitation ein. Außerdem hat sich Prof. Gläser seit der Wende um die Förderung einer psychosozialen Krebsberatung stark, und um die Entwicklung einer Krebsgesellschaft in Sachsen-Anhalt in besonderem Maße verdient gemacht. Mit Gründung der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft e. V. im Jahr 2000 wurde Prof. Gläser von den Mitgliedern zum Ehrenvorsitzendem ernannt. Mit der Teilnahme an den regelmäßigen Vorstandssitzungen hat er bis zuletzt motivierend und konstruktiv an der Entwicklung der Gesellschaft mitgewirkt.
Albrecht Gläser war ein überaus kreativer und erfolgreicher Operateur. Unter genauer Beachtung anatomischer Strukturen und strenger Berücksichtigung des pathologisch-anatomischen Befundes führte er die Operationen – für seine Assistenten und Mitarbeiter gleichzeitig Lehroperationen – durch. Basierend auf seiner breit gefächerten operativ-technischen Ausbildung führte er Anfang der 60-ziger Jahre mit der Wippleschen Operation die moderne Pankreaschirurgie erfolgreich in das Repertoire der Leipziger Klinik ein. Etwas später folgten die Hemipelvektomie und die erste Eviszeration des kleinen Beckens mit Neoblase und Anus praeter. Er arbeitete ständig an der Vervollständigung der Krebsoperationen im Kopf-Halsbereich, im und am Thorax, an der Mamma, der Schilddrüse, am oberen und unteren Gastrointestinaltrakt und an den Weichteilen.
Die Interdisziplinarität der Tumordiagnostik und -behandlung frühzeitig klar erkennend, gründete er Ende der 60er Jahre in Leipzig die interdisziplinäre „Arbeitsgemeinschaft klinischer Onkologie“. Ziel war die Standardisierung der Diagnostik und Therapie von Patienten mit Geschwulsterkrankungen. Für elf Tumorerkrankungen wurden damals unter seiner Federführung Diagnostik- und Therapiestandards formuliert und auf wöchentlichen Veranstaltungen der Akademie für ärztliche Fortbildungen diskutiert und verbreitet. Er nahm mit der Entwicklung dieser Standards die uns heute selbstverständliche Etablierung von Leitlinien vorweg. Die Chirurgische Klinik in Leipzig wurde so unter seinem Einfluss zu einem überregionalen Zentrum für Onkologie. Mit gleichgroßem Elan entwickelte er nach Übernahme des Direktorates der Chirurgischen Klinik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg auch diese Klinik zu solch einem Zentrum.
Trotz der hohen zeitlichen Absorption durch administrative Aufgaben und der umfangreichen klinischen Arbeit umfasste das wissenschaftliche Werk Gläsers 112 Publikationen und 312 Vorträge, fünf allein von ihm verfasste Monographien (vier Bände „Klinische Pathologie der Geschwülste“ und „Krebsoperationen“) und weitere zahlreiche Beiträge in Lehrbüchern und Monographien sowie Arztbiographien, die seinem bescheidenen Charakter entsprechend hier nicht aufgelistet werden sollen. Er betreute weit über 100 Doktoranden und Diplomanden, acht Mitarbeiter habilitierten sich unter seiner Leitung. Er war Mitherausgeber mehrerer medizinischer Fachzeitschriften und gehörte deren Beiräten an. Albrecht Gläser war Mitglied zahlreicher chirurgischer und onkologischer Fachgesellschaften, so unter anderem seit 1958 der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Seit ihrer Gründung 1968 war er im Vorstand der Gesellschaft für Geschwulstbekämpfung der DDR, deren Vorsitzender er von 1981 bis 1987 war, tätig. Außerdem gehörte er der European Association for Cancer Research an. Mehrere regionale Chirurgen- und Krebsgesellschaften wählten ihn nach langjähriger Tätigkeit als Vorsitzenden zum Ehrenmitglied. 1984 erhob ihn die „Sächsische Akademie der Wissenschaften“ in Würdigung seiner Leistungen auf dem Gebiet der Krebstherapie zu ihrem Mitglied.
Albrecht Gläser war als einziger Professor niemals im Vorstand der Gesellschaft für Chirurgie der DDR. So brachte die politische Wende in Deutschland die späte, aber verdiente Würdigung für Albrecht Gläser. Er wurde als einziger Ostdeutscher von 1990 bis 1993 in das Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sowie von 1990 bis 1994 in den Vorstand der Deutschen Krebsgesellschaft kooptiert.
Albrecht Gläser war nicht nur ein unbeugsamer Mensch, mitfühlender Arzt und hervorragender Chirurg. Er war im Besonderen auch ein akademischer Lehrer mit menschlicher Wärme und seltener Großzügigkeit, die viele von uns bewegte und prägte. Diejenigen, denen er direkt und unmittelbar ohne Aufheben und unter Inkaufnahme möglicher eigener Nachteile nicht selten aus existenzbedrohenden Schwierigkeiten heraushalf, werden sich mit Hochachtung
und Dankbarkeit daran erinnern. Er hat damit sehr viele seiner Mitarbeiter und Schüler beeindruckt und auch geprägt.
Wir Schüler, Mitarbeiter und Kollegen trauern um unseren alten Lehrer und Chef zu dem wir ein von tiefer Hochachtung und großem Respekt bestimmtes Verhältnis hatten.
Prof. Dr. med. Manfred Schönfelder, Leipzig
Prof. Dr. med. Peter Würl, Diakoniekrankenhaus Halle (Saale)
Sven Weise, Sachsen-Anhaltische Krebsgesellschaft e. V., Halle (Saale)